Mehr als 35 Milliarden Franken sind eine Menge Geld. Diesem Betrag entspricht das Vermögen per 30. September 2016 von drei unserer Sozialversicherungen: die AHV (welche den Löwenanteil ausmacht), die IV und die EO (Erwerbsersatzordnung). Es handelt sich dabei um Volksvermögen. Dieses wird durch die Beiträge der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber und der Selbstständigerwerbenden sowie durch Steuern geäufnet. Die Frage, wie und durch wen diese Gelder verwaltet werden, ist von öffentlichem Interesse. Ein Jahr lang musste ich jedoch beim Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) insistieren, bis dieses mit der Wahrheit herausrückte.
Als ich im Juni 2015 in einem parlamentarischen Vorstoss anfragte, warum ein Teil des AHV-Vermögens in den USA verwaltet wird, antwortete mir das EDI empört: «Entgegen der Angabe des Interpellanten wird das Vermögen nicht in den USA, sondern in der Schweiz - teilweise durch amerikanische Verwaltungsgesellschaften - verwaltet.» Da diese Antwort bei mir einige Zweifel aufkommen liess, fragte ich im September weiter nach. Da machte das EDI einen Rückzieher und gab zu, dass 14 Mandate von Vermögensverwaltern mit Sitz in den USA und in London verwaltet werden. Im selben Atemzug teilte es aber mit: «Das gesamte Vermögen befindet sich in der Schweiz, bei der Depotbank UBS in Zürich.»
Da ich weiterhin Zweifel hatte, begann das EDI mich zu belehren: «Die UBS fungiert für das AHV-Vermögen als Global Custodian. (…) Sämtliche Aktiven dieses Vermögens, auch ausländische Aktien, sind bei der UBS hinterlegt.» Punkt Schluss, Herr Feller, kein Grund zur Sorge!
Trotz dieser Zurechtweisung wagte ich einen weiteren Vorstoss, um zu wissen, in welchen Ländern der in Fremdwährungen und ausländischen Wertpapieren platzierte Teil des AHV-Vermögens verwahrt wird. Das Departement von Alain Berset rückte dann am 3. Juni 2016 endlich mit der Wahrheit heraus: «Der Grossteil der Fremdwährungsobligationen und internationalen Aktien aus Industrie- und Schwellenländern sowie ein Grossteil des Vermögens in Fremdwährungen werden bei Banken im Ausland verwahrt. Nur ein kleiner Teil dieser Titel ist in der Schweiz deponiert.»
Anders formuliert: Ungefähr zwei Drittel des AHV-Vermögens werden im Ausland investiert und verwahrt, und zwar in Grossbritannien, in den USA, aber auch in Mexiko, Griechenland, China, Malaysia et cetera. Zudem erfolgt die Verwaltung von rund elf Milliarden Schweizer Franken durch Vermögensverwalter mit Sitz in London und in den USA - von New York und Boston über Pasadena bis San Francisco.
Warum tut sich das EDI so schwer, die Tatsachen offenzulegen? Vielleicht weil sie unangenehme Fragen aufwerfen. Sind zum Beispiel die besten Vermögensverwalter wirklich in den USA? Nun, Lehman Brothers können wir nicht mehr fragen… Und was würde geschehen, wenn in der heutigen unsicheren Zeit ein ausländisches Gericht das Schweizer Vermögen aus irgendwelchen Gründen blockieren würde?
Beim Eingehen derart grosser Risiken müsste wenigstens eine marktgemässe Rendite resultieren. Das ist leider nicht der Fall. Die Renditen, welche die AHV-Ausgleichsfonds erwirtschaften, sind niedriger als die üblichen in der Finanzwelt verwendeten Indizes, wie zum Beispiel der BVG-25-Index. Dies zeigt sich sowohl in für die Finanzmärkte guten Jahren, wie 2014, als auch in schlechten Jahren, wie 2015. So wurde 2014 von den AHV-Ausgleichsfonds eine Rendite von 6,5 Prozent erwirtschaftet, gegenüber 9,44 Prozent für den BVG-25-Index. Im Jahr 2015 erzielten die Ausgleichsfonds gar einen negativen Ertrag (minus 0,92 Prozent), obwohl sich der BVG-25-Index leicht im positiven Bereich bewegte (0,5 Prozent). Die Basler Zeitung hat kürzlich davon berichtet, wie die AHV-Ausgleichsfonds seit mehreren Jahren fast verzweifelt versuchen, im Interesse einer Renditeverbesserung neue Anlagekonzepte zu erarbeiten - dies jedoch ohne Erfolg. Wie ist das zu erklären?
Die gesamte Entwicklung ist umso inakzeptabler, als die AHV-Ausgleichsfonds ein zunehmend arrogantes Auftreten haben. Sie unterliegen zum heutigen Zeitpunkt nicht dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen, wenn es um die Vergabe von Vermögensverwaltungsmandaten in der Schweiz und im Ausland geht. Und sie wehren sich vehement, sich diesem Gesetz in Zukunft zu unterziehen, obwohl in anderen Ländern - beispielsweise Luxemburg - vergleichbare Organisationen den Regeln über das öffentliche Beschaffungswesen unterstellt sind.
Es kommt noch schlimmer. Als eine Deutschschweizer Tageszeitung im Juni 2016 von den AHV-Ausgleichsfonds Auskunft über die Entschädigung sämtlicher Auftragsnehmer (externe Vermögensverwalter, Broker und so weiter) verlangt, erhält sie eine schroffe Antwort. Die AHV-Ausgleichsfonds sind der Ansicht, dem –ffentlichkeitsgesetz nicht unterstellt zu sein, und verweigern deshalb die Auskunft.
Fassen wir zusammen: Die AHV-Ausgleichsfonds wollen weder vom Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen noch vom –ffentlichkeitsgesetz etwas wissen. Welche Bundesgesetze gelten dann überhaupt noch für diese öffentliche Institution? Die AHV-Ausgleichsfonds entziehen sich übrigens auch der Oberaufsicht des Parlamentes. Seit rund zehn Jahren erscheinen der Personal- sowie der Betriebsaufwand dieser öffentlichen Institution nicht mehr in den vom Parlament genehmigten Budgets und Jahresrechnungen des Bundes. Während die beiden Kammern gelegentlich über eine 50‘000-Franken-Subvention im Kultur- oder Sportbereich beraten, bleibt ihnen nur schon ein flüchtiger Blick auf die Betriebskosten einer Institution, die über 35 Milliarden Franken verwaltet, verwehrt.
Hoffen wir, dass unser Land für die vom Bundesrat und vom EDI bewusst getroffenen Entscheidungen nicht eines Tages teuer bezahlen muss.
Olivier Feller
Nationalrat des Kantons Waadt und Mitglied der FDP
Dieser Artikel wurde am 21. November 2016 in der Basler Zeitung publiziert.